über den Einsatz von Geheimnissen, falschen Fährten und das Spiel mit den Erwartungen des Publikums.
Vor kurzem habe mir auf Netflix „Die Unfassbaren“ angeschaut. Der Film kann zwar nicht mit vergleichbaren Filmen, wie zum Beispiel „Prestige – Die Meister der Magie“ mithalten, spielt aber nichtsdestotrotz auf beeindruckende Art und Weise mit den Erwartungen der Zuschauer. Um dies zu erreichen, wurden unterschiedliche Methoden verwendet, die ich mir im Folgenden genauer anschauen möchte.
Spoiler-Warnung: Wer den Film noch nicht gesehen hat, tut das am besten vorher, denn hier werden Geheimnisse gelüftet!
Die große Frage dieses Films ist es, wer das die graue Eminenz im Hintergrund, der sogenannte „5. Reiter“ ist. Große und kleine Geheimnisse sind bestens geeignet das Interesse des Publikums zu fesseln. Man denke nur an die unzähligen Whodunit-Krimis oder z.B. die 6 Staffeln von „Lost“. Anscheinend gibt es so etwas wie einen unstillbaren menschlichen Drang Geheimnisse zu lüften. Um das Geheimnis im Fokus des Publikums zu halten und gleichzeitig die Wahrheit zu verschleiern, hat der Autor eine Reihe von falschen Fährten gelegt.
Mindestens zwei mal werden Zweifel an der Identität seiner Interpol-Kollegin geäußert. Da diese Zweifel nicht gerade subtil vorgetragen werden, glaubt man sie allerdings nicht. Das Publikum denkt sich: „Wenn das schon so offen angedeutet wird, dann kann es auf keinen Fall stimmen.“ Andererseits kann man sich aber auch nie ganz sicher sein, ob man nicht einfach gerade einen schlechten Film schaut. Woran man gut erkennt, dass das Spiel mit den Erwartungen ein ziemlich schmaler Grad ist. Dass der Trick in diesem Fall jedoch trotzdem klappt, liegt daran, dass der Verdacht u.a. von der Person geäußert wird, die sich am Ende selbst als der 5. Reiter herausstellt. Insofern kann man hier fast schon von einer genialen „doppelt-falsch-Fährte“ sprechen. Währrend der Zuschauer sich noch in dem Gefühl sonnt, besonders clever zu sein, weil er nicht auf die falsche Fährte hereingefallen ist, wird ihm eine noch größere Lüge untergejubelt. Genau so funktioniert der immer wieder erwähnte Zaubertrick, auf dessen Methode der ganze Plot basiert.
Andere falsche Fährten werden in Richtung der beiden alten Männer (gespielt von Morgan Freeman und Michael Caine) gelegt, die bis zu einem bestimmten Punkt beide der 5.Reiter sein könnten.
Der oben beschriebene Zaubertrick der Ablenkung vom eigentlichen Geheimnis wurde zumindest in meinem Fall perfekt erreicht. Ich hatte nicht den kleinsten Verdacht, dass sich am Ende der FBI-Agent als der 5. Reiter herausstellen würde. Diese Wirkung wurde durch eine weitere falsche Fährte erreicht, die gleichzeitig jedoch auch für eine der größten Schwächen des Films verantwortlich ist. Der ermittelnde FBI-Agent wurde so langweilig und dumm angelegt, dass man im Grunde gar nicht auf die Idee kommen kann, dass er diese mysteriöse graue Eminenz im Hintergrund ist. Wie ein Trottel stolpert er die ganze Zeit den vier Zauberern hinterher und wird ein ums andere Mal von ihnen an der Nase herum geführt. Um das Geheimnis zu verdecken war dies sicherlich die richtige Methode, die noch dazu durch die natürliche Sehgewohnheit der Zuschauer verstärkt wird. Wir sind gewöhnt an Kriminalgeschichten in denen wir genau so viel wissen wie der Ermittler. Mit ihm zusammen decken wir nach und nach die Geheimnisse auf und können uns dadurch gut mit ihm identifizieren. Ganz am Ende bekommt er dann oft seinen großen Auftritt. In dem Moment ist er uns einen Schritt voraus und offenbart uns seine ganze Genialität, indem er das große Rätsel löst, während wir noch im Dunkeln tappen. Diese Seh- oder Story-Gewohnheit sorgt dafür, dass wir um so weniger auf die Idee kommen, dass es der FBI-Agent sein könnte. Der große Nachteil daran ist allerdings, dass er dadurch bis zur großen Offenbarung wie ein langweiliger Armleuchter rüber kommt. Beim Schauen des Films fragt man sich zwangsläufig, warum die Hauptperson des Films nur so blass bleibt. Kein starker innerer Konflikt, kein echtes Bedürfnis, keine fesselnde Backstory. All dies hätte den Autoren vermutlich zu stark auf sein Geheimnis hingewiesen. Erst ganz am Ende wird der Charakter wirklich interessant, aber das ist dann „to little to late“. Bleibt die Frage, welche Person am Ende überhaupt interessant ist in diesem Film?
Aus meiner Sicht keine. Auch die 4 Reiter selbst bieten ziemlich wenig Raum zur Identifikation. Dafür wird uns viel zu wenig über ihre Motivation enthüllt. Schlußendlich sind und bleiben sie nur Erfüllungsgehilfen.
Vergleichen wir den Film mit anderen Filmen, die ebenfalls am Ende eine große Überraschungen bereit halten, dann sehen wir, dass der Fall hier ganz anders liegt. In „Die üblichen Verdächtigen“ ist zum Beispiel „Kaiser-Soße“ (oder wie auch immer) durchgängig faszinierend, auch wenn nur über ihn spekuliert wird. In „Prestige“ sind dies die sich obsessiv bekämpfenden Magier. In „Fight Club“ sind es die beiden extrem unterschiedlichen Charaktere, die Interesse erzeugen, sowie die Entwicklung des angepassten Schwächlings zum knallharten Kämpfer.
Eine weitere Methode, die im Film gut umgesetzt wird, ist die ständige Abfolge von Offenbarungen. Wie schon weiter oben beschrieben decken die Ermittler immer mehr Geheimnisse auf. Das hält die Story am laufen und lässt einen weiter zuschauen, auch wenn die Charaktere nicht viel Grund zur Identifikation liefern. John Truby sagt in seinem Buch „The Anatomy of Story“: „If your revelations don’t build in intensity, the plot will stall or even decline.“ MMn nach wird dieser Ratschlag im Film nur halbwegs umgesetzt. Die große Offenbarung kommt ganz am Ende, alles andere würde keinen Sinn ergeben. Die anderen, kleineren Offenbarungen jedoch sind alle mehr oder weniger gleichbedeutend. Trotzdem schaut man weiter, weil man hinter das eine große Rätsel kommen will.
Was dem Film sonst noch abgeht?: Vergleicht man den Film noch einmal mit den oben genannten Filmen, wird offensichtlich, dass es dem Film in vielerlei Hinsicht an Intensität fehlt. Es fehlt an menschlicher Tiefe. Keine Abgründe, keine wirklich verwerflichen Taten. Die vier Reiter, die eigentlich schillernde Persönlichkeiten sein müssten, bleiben ziemlich blaß. Ihr Vorgehen ist zwar ziemlich raffiniert, bleibt aber zu lieb und nett. Wer hat schon etwas dagegen, wenn ein paar Reiche Menschen auf witzige Art und Weise beklaut werden? Folglich taugen sie auch nicht als faszinierende Gegenspieler. Wen interessiert es also, ob der FBI-Mann sie am Ende wirklich erwischt? Es müsste eigentlich genau anders herum sein: In den Hauptrollen die „Robin Hoods“, die von einem unerbittlichen Cop gejagt werden, der sich am Ende als ihr eigentlicher Mentor herausstellt.
Fazit zum Legen falscher Fährten und großer Überraschungen: Der Vorteil des Autoren ist es, dass das Publikum, wenn man ihm ein kniffliges Rätsel vor die Nase hält, ständig seine eigenen Überlegung anstellt. Das Einsetzen von falschen Fährten ist also gar nicht das Problem. Die wirkliche Schwierigkeit liegt darin, die Sache so aufzubauen, dass die große Offenbarung am Ende zufriedenstellend ist. In der idealen Form sollte sie überraschend und gleichzeitig unausweichlich sein. D.h. alles muss zwangsläufig auf dieses Ende hinausgelaufen sein, ohne dabei jedoch zu viel verraten zu haben. Dafür braucht es versteckte Setups: Bestimmte Situationen (z.B. Aussagen oder Handlungen von Charakteren), die sich beim ersten Anschauen auf eine Art erklären, im Nachhinein aber eine ganz andere Bedeutung erhalten. Ohne solche vorbereitenenden Setups wirkt eine derart große Überraschung einfach nur plump. Das Gefühl, wenn einem „die Schuppen von den Augen fallen“ und man an all die Szenen zurück denkt, die jetzt in einem ganz anderen Lichte dastehen, ist einfach viel stärker als die simple Überraschung. Die wahre Kunst ist es den Leuten alle Informationen zu geben, die sie benötigen, um das Rätsel zu lösen und sie trotzdem an der Nase herum zu führen. Im Falle dieses Filmes wurde diese Aufgabe nur eingeschränkt erfüllt. Als Setup werden keine Szenen benutzt, in denen sich wirkliche Handlung abspielt. Stattdessen wird dem Publikum durch die ständige Wiederholung der Erklärung, wie Zaubertricks funktionieren immer wieder vor Augen gehalten, dass es gerade selbst ausgetrickst wird. Dadurch wird man zwar darauf vorbereitet, dass am Ende alles ganz anders kommt, als man sich das denkt, doch es fehlen die besonderen Momente, die heimlichen Setups, die im Nachhinein eine ganz andere Bedeutung erhalten.
Das Fazit zum Film ist somit Folgendes: Ein Plot, der fesselt, weil man das große Rätsel auflösen will. Eine große Überraschung am Ende, die aber nur mäßig funktioniert, weil nicht genug versteckte Setups eingesetzt wurden. Keine wirklich spannenden Charaktere, keine guten Antagonisten und ebenfalls keine besondere Intensität in der Handlung.
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